Kaloyan
Velkov

19. Şubat 2020

Hanau

Leben des Opfers

Kaloyan (*18.01.1987) ist zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn nach Deutschland gekommen. Der 33-Jährige arbeitete als Lkw-Fahrer und half zusätzlich im Lokal “La Votre” am Heumarkt aus. Seine Frau und sein Sohn kehrten nach Bulgarien zurück, aber Kaloyan blieb in Deutschland, um sich eine Existenz aufzubauen und die Familie in Bulgarien weiterhin zu unterstützen.

Kaloyan holte seine Mutter zu sich. Sie wohnten in Erlensee, in der Wohnung unter ihnen lebte Kaloyans Cousine Vaska mit ihren Kindern, mit denen er ebenfalls viel Zeit verbrachte. Kaloyans Leben bestand aus Arbeit und Sport – damit war er sehr zufrieden.

Kaloyan brauchte nie viele Dinge für sein inneres Glück, er lebte sehr genügsam. Er hat sehr gerne gegessen, selbst gekocht hat er in seiner Zeit in Deutschland jedoch nur ein einziges Mal, als sein Bruder zu Besuch war. Er machte Fleisch mit Kartoffeln in Tomatensoße. Alle hatten danach Bauchschmerzen – nicht nur vom vielen Essen, sondern auch vom vielen Lachen an diesem Abend.

Vaska telefonierte am 19. Februar 2020 um 21:47 Uhr zum letzten Mal mit ihrem Cousin Kaloyan. Sie hatten darüber gesprochen, am Wochenende zusammen in eine Bar mit Livemusik zu gehen. Um 21:57 Uhr war Kaloyan tot.

Kaloyans Mutter wartete noch mehrere Tage nach seinem Tod auf seine Rückkehr. Vaska konnte sie nicht davon abbringen, geschweige denn sie beruhigen. Schließlich hielt Kaloyans Mutter es in Deutschland nicht mehr aus und kehrte nach Bulgarien zurück.

Kaloyan wurde in der Nähe seiner Familie in seiner Heimatstadt Mesdra beerdigt. Es ist hier Tradition, den Toten auch etwas zu Essen oder zu Trinken mitzubringen, wenn man sie auf dem Friedhof besucht. Kaloyans Sohn bringt ihm sein Lieblingsgetränk.

Formen des Gedenkens

Neben dem ersten Jahrestag des Anschlags, an dem Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen in Hanau und bundesweit („Hanau ist überall“) stattfanden, wurde durch die Angehörigen in der Initiative 19. Februar Hanau ein monatliches Gedenken an den beiden Tatorten etabliert. Außerdem wurde an beiden Tatorten eine Gedenkstelle mit allen Bildern der Opfer installiert. Später brachte die Stadt Hanau ebenfalls an beiden Tatorten Gedenktafeln an. Am Tag der Zivilcourage 2020 wurde außerdem ein Kreuz in Erinnerung Vili Viorel Păun aufgestellt, ein Jahr später bekam Vili die Hessische Medaille für Zivilcourage des Landes Hessen verliehen. Vili Viorel Păun hatte in der Tatnacht versucht, den Täter zu stoppen, und hat das mit seinem Leben bezahlt. In Dietzenbach wurde nach langen Kämpfen der Familie Gürbüz außerdem eine Gedenkstele für Sedat Gürbüz errichtet. Eine Gedenktafel in Erlensee erinnert außerdem an Kaloyan Velkov, der dort lebte. 2022 wurde zu Ehren von Hamza der Hamza-Kurtovic-Award in Hanau an 14 Preisträger*innen vergeben.

“Erinnern heißt verändern”

Die Initiative 19. Februar Hanau arbeitete zusammen mit Forensic Architecture/Forensis an der zivilgesellschaftlichen Aufklärung des Falles und initiierte gemeinsam mit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh die Ausstellung “Three Doors”, die mittlerweile im Kunstverein Frankfurt, im HKW Berlin, im Depo Istanbul und an anderen Orten zu sehen war. Auch das Theaterstück “And now Hanau”, das in Zusammenarbeit mit dem Theatermacher Tuğsal Moğul entstand, dient der Gedenkarbeit an die Opfer des Anschlags. 2024 fand außerdem erstmals der “Say their names Cup” statt, ein Benefizspiel der U19 Mannschaften von Eintracht Frankfurt und dem FC. St. Pauli.

Was ist geschehen

Diese Gedenkchronik thematisiert rechte, rassistische und antisemitische Gewalt, einschließlich spezifischer Vorfälle, Hintergründe und Folgen. Die Inhalte können belastende Beschreibungen von Gewalt, Diskriminierung und Leid enthalten.

Im folgenden ausklappbaren Abschnitt “Beschreibung der Tat” werden konkrete Gewalttaten geschildert. Wir möchten Betroffene und Leser*innen daher darauf hinweisen, dass die Auseinandersetzung mit diesen Inhalten retraumatisierend wirken kann. Bitte prüfen Sie vor dem Zugriff auf die Inhalte, ob Sie sich mental und emotional in der Lage fühlen, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen und tun sie dies ggf. nicht allein.

Bei dem Terroranschlag am 19. Februar 2020 in Hanau wurden an zwei Orten neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet. Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.

Am ersten Tatort in der Innenstadt am Heumarkt ermordete der Täter Kaloyan Velkov in der Bar La Votre, wo Kaloyan als Barkeeper gearbeitet hat. Dann erschoss er Fatih Saraçoğlu auf der Straße, der einen Freund dort hingebracht hat. Sedat Gürbüz wurde in seiner Bar Midnight ermordet.

Vili Viorel Păun fuhr auf der Suche nach einem Parkplatz in die Straße, der Täter feuerte mehrere Schüsse auf sein Auto ab. Vili verfolgte den Täter, hinderte ihn zunächst daran, auszuparken, verfolgte ihn nach Kesselstadt. Auf dem Weg versuchte er mehrmals vergeblich, den Notruf 110 zu erreichen. Er wurde auf dem Parkplatz am Kurt-Schumacher-Platz in Kesselstadt in seinem Auto erschossen.

Im Kiosk 24/7 ermordete der Täter daraufhin Mercedes Kierpacz, Gökhan Gültekin und Ferhat Unvar. In der danebenliegenden Arena-Bar erschoss er Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović. An den Tatorten gab es zahlreiche Überlebende, die teilweise explizit bedroht wurden oder auch schwerverletzt überlebt haben.

Der Anschlag dauerte insgesamt etwas mehr als 5 Minuten. Der Täter war polizeilich und staatsanwaltlich bekannt, er hatte trotz Selbstanzeigen eine legale Waffenerlaubnis. Tage zuvor hatte er durch Graffiti auf seine Homepage aufmerksam gemacht, auf der sein rassistisches Manifest einsehbar war. Er ermordete später seine Mutter, bevor er sich selbst tötete. Sein Vater, von dem bekannt ist, dass er die rechtsextreme und rassistische Weltanschauung seines Sohnes teilte, war der einzige Überlebende im Haus. Er behauptete, weder etwas gesehen noch gehört zu haben. Der Polizei war die Adresse des Täters bereits kurz nach dem Anschlag bekannt, trotzdem betrat sie das Haus erst viereinhalb Stunden später.