B.
Efe

21. Haziran 2020

Kassel

Leben des Opfers

B. Efe, geboren in Aydiın (Türkei), war Taxifahrer aus Leidenschaft. Er mochte das Taxifahren sehr. Er fuhr hauptsächlich nachts und teilte sich das Auto mit einem Kollegen, der tagsüber unterwegs war. Efe hatte viele Stammkunden, die ihn immer wieder anriefen, egal ob er im Dienst war oder nicht. Vor dem rassistischen Mordversuch sagte er einmal zu einer Journalistin: “Ich liebe Autofahren. Gebt mir einen Kaffee und ich bringe euch nonstop bis nach Italien oder Holland.” Auch liebt Efe das Angeln. Seit der Tat ist sein Leben ein anderes. Hobbys, Freundschaften und Alltagsroutinen von vor der Tat kann er nicht mehr aufrechterhalten. Sein Leben ist nach der Tat ein anderes als davor. In einem Interview beschrieb Efe die Konsequenzen so: “Seit der Tat bin ich ein trauriger Mensch geworden. Ich kann nicht mehr richtig schlafen. Ich habe kein Vertrauen mehr in die Menschen. So gern würde ich ohne Angst in die Stadt gehen, aber ich muss mich immer umdrehen. Die Angst ist ständig in meinem Kopf. Der Täter hat mein Leben kaputt gemacht. Früher war ich ein glücklicher Mensch. Seit drei Jahren bin ich ein anderer Mensch.” Seit der Tat kann Efe aufgrund seines psychischen Zustands nicht mehr arbeiten und kämpft seitdem um sein finanzielles Überleben, das fremdbestimmt und geprägt durch eine Abhängigkeit von staatlichen Strukturen ist.

Formen des Gedenkens

Efe musste jegliche Form des Gedenkens und der Öffentlichkeitsarbeit selbst erkämpfen – unterstützt durch die Soligruppe. Ein zentraler Wunsch von ihm ist die Errichtung einer Gedenktafel am Ausgangspunkt der Taxifahrt am 21. Juni 2020, um an den rassistischen Mordversuch und sein Überleben zu erinnern. Mit dieser Gedenktafel möchten wir nicht nur an die Tat selbst erinnern, sondern auch eine sichtbare Markierung des Ortes schaffen, die den rassistischen Hintergrund der Tat für die Öffentlichkeit klar hervorhebt.

Besonders wichtig ist uns, dass die Gedenktafel einen breiteren Kontext bietet und auf weitere rechte, rassistische und antisemitische Gewaltakte in Kassel und darüber hinaus verweist. Insbesondere die Friedrich-Ebert-Straße, wo der Mordversuch begann, war in den vergangenen Jahren immer wieder Schauplatz rechter Übergriffe. Die Tafel könnte auch als Anlaufstelle für Betroffene rechter Gewalt dienen, indem sie Informationen und Kontaktadressen zur Unterstützung bereitstellt.

Die Stadt Kassel hat bisher keinerlei Unterstützung für dieses Gedenken geleistet – weder in Form einer Gedenktafel noch durch andere Maßnahmen zur Unterstützung der Erinnerungsarbeit oder der Unterstützung von Efe selbst. Doch wir bleiben nicht untätig: An jedem Jahrestag des Angriffs organisieren wir einen Fahrrad- und Autokorso, um die Aufmerksamkeit auf Efe zu lenken. Diese Aktionen werden von Betroffeneninitiativen aus ganz Deutschland unterstützt, die uns besuchen und ihre Solidarität zeigen.

Zudem nehmen wir jährlich an kritischen Stadtrundgängen teil, bei denen unter anderem der rassistische Mordversuch an Efe thematisiert wird. So stellen wir sicher, dass diese Tat nicht in Vergessenheit gerät und weiterhin Teil des öffentlichen Bewusstseins bleibt.

Was ist geschehen

Diese Gedenkchronik thematisiert rechte, rassistische und antisemitische Gewalt, einschließlich spezifischer Vorfälle, Hintergründe und Folgen. Die Inhalte können belastende Beschreibungen von Gewalt, Diskriminierung und Leid enthalten.

Im folgenden ausklappbaren Abschnitt “Beschreibung der Tat” werden konkrete Gewalttaten geschildert. Wir möchten Betroffene und Leser*innen daher darauf hinweisen, dass die Auseinandersetzung mit diesen Inhalten retraumatisierend wirken kann. Bitte prüfen Sie vor dem Zugriff auf die Inhalte, ob Sie sich mental und emotional in der Lage fühlen, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen und tun sie dies ggf. nicht allein.

In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 war Efe als Minicar-Fahrer in Kassel unterwegs. Es war die erste Nacht während der Corona-Zeit, in der es wieder erlaubt war, feiern zu gehen und Clubs öffnen konnten. Auf der Höhe von Club22, einem lokalem Club in Kassel, auf der Friedrich-Ebert-Straße stieg der Täter in Efes Auto ein. Er nannte kein konkretes Ziel, sondern gab Efe nur kurze Anweisungen wie “Bieg hier ab”, “Jetzt rechts,” und “Jetzt links”. In der Kasseler Nordstadt, an der Ecke Fraunhoferstraße/Knutzenstraße, wollte der Täter, dass Efe anhält. Als Efe daraufhin die Fahrtkosten einforderte, beleidigte der Täter ihn rassistisch mit den Worten “Scheiß Ausländer, nur Geldfresser” und stach ihm anschließend mit einem Messer in den Hals, wobei er nur knapp die Halsschlagader verfehlte. Nach der Tat flüchtete der Täter in Richtung Fiedlerstraße. Efe überlebte den rassistischen Mordversuch, weil er sich selbst in das nahegelegene Krankenhaus fahren konnte. Aber Efe hat nicht nur einen rassistischen Mordversuch überlebt, sondern er überlebt seitdem Tag für Tag: Denn das, was der versuchte Mordversuch ausgelöst hat, prägt das komplette Leben von Efe. Bis heute ist der Täter nicht gefunden.

Quellen

Soligruppe B. Efe 09