Bio der Opfer
Für die in Halle ermordeten Jana L. und Kevin S. gibt es keine Informationen, die von den Familien freigegeben sind. Daher bleibt dieses Feld frei.
09. Oktober 2019
Halle
Für die in Halle ermordeten Jana L. und Kevin S. gibt es keine Informationen, die von den Familien freigegeben sind. Daher bleibt dieses Feld frei.
Es gibt zwei Jahrestage, an denen dem rassistischen, antisemitischen, antimuslimischen sowie antifeministischen Anschlag gedacht wird: einen an Jom Kippur, dem 10. Tishrei im jüdischen Kalender und einen am 9. Oktober im bürgerlichen Kalender. Das Gedenken an den Anschlag wird in Sachsen-Anhalt von mehreren zivilgesellschaftlichen Initiativen und Vereinen sowie von Institutionen organisiert und begleitet.
Bereits am Abend des Anschlags versammelten sich viele Menschen spontan auf dem Marktplatz, einem Aufruf des lokalen Bündnis Halle gegen Rechts folgend – darunter auch Überlebende. Die erste solidarische Demonstration, organisiert von Einzelpersonen, Halle gegen Rechts, und den Überlebenden İsmet und Rıfat Tekin, fand bereits am Sonntag nach der Tat statt.
Für viele Überlebende war der Prozess gegen den Täter 2020 wichtig, um sich untereinander zu vernetzen und mit kritischen Positionen an die Öffentlichkeit zu treten. Verschiedene Initiativen und Bündnisse, u.a. die mobile Opferberatung, leisteten während des Prozesses wichtige Betroffenenhilfe, organisierten Mahnwachen vor dem Gericht oder unterstützten die Nebenkläger*innen mit Catering, Reisebegleitung o.Ä. Zum ersten Jahrestag des Anschlags beteiligten sich Überlebende an zahlreichen Gedenkveranstaltungen in Halle und versuchten, das Narrativ über den Anschlag mitzuprägen. In Berlin organisierten jüdische Überlebende mithilfe von Unterstützer*innen das „Festival of Resilience“, das seither jährlich stattfindet.
Parallel dazu kämpften in Halle İsmet und Rıfat Tekin seit der Wiedereröffnung des KiezDöners nach einer 40-tägigen Trauerzeit um das Überleben des Ladens. Sie scharten Unterstützer*innen um sich, und gründeten zusammen mit anderen Überlebenden die „Soligruppe 9. Oktober“, die sich für ein selbstbestimmtes Gedenken an den Anschlag von Jom Kippur einsetzt. Gemeinsam beschlossen sie, das ehemalige Restaurant als Erinnerungsort umzufunktionieren und gestalteten es mithilfe von Spenden und vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit um. Im November 2021 wurde der migrantische Gastronomiebetrieb schließlich als TEKİEZ wiedereröffnet – ein türkisches Frühstückscafé, das gleichzeitig ein Gedenk- und Austauschort sein sollte.
Allerdings musste der neu geschaffene Erinnerungsort aufgrund finanzieller Engpässe bereits im Mai 2022 wieder schließen. Gedenken und Bildungsveranstaltungen gehen auch nach Abmeldung des Gewerbes und Schließung des Cafés weiter – alles auf ehrenamtlicher Basis. An konkreter politischer Unterstützung fehlt es jedoch nach wie vor. Stattdessen hält sich das TEKİEZ vor allem dank zivilgesellschaftlicher Unterstützung, Geldern aus dem Modellprojekt und Solidarität anderer Initiativen über Wasser, wie der Jüdischen Studierendenunion aus Halle, der Mobilen Opferberatung und des Vereins Friedenskreis Halle. Heute ist das TEKİEZ als Raum des Erinnerns und der Solidarität eine Gedenkstätte für Opfer rechter Gewalt, ein Bildungszentrum gegen Rassismus und Antisemitismus, ein Nachbarschaftstreff, ein Begegnungscafé – ein Ort, an dem erfahrbar wird, was es bedeuten kann, sich mit Überlebenden rechter Gewalt und den Angehörigen der Opfer solidarisch zu zeigen.
Neben dem gemeinsamen Kampf für den Erhalt des TEKİEZ als Raum des Erinnerns und der Solidarität organisiert die bundesweit vernetzte Soligruppe seit 2022 zudem jährlich das Gedenken in Halle. Dabei stehen die Betroffenenperspektive und migrantische Stimmen klar im Vordergrund.
Diese Gedenkchronik thematisiert rechte, rassistische und antisemitische Gewalt, einschließlich spezifischer Vorfälle, Hintergründe und Folgen. Die Inhalte können belastende Beschreibungen von Gewalt, Diskriminierung und Leid enthalten.
Im folgenden ausklappbaren Abschnitt „Beschreibung der Tat“ werden konkrete Gewalttaten geschildert. Wir möchten Betroffene und Leser*innen daher darauf hinweisen, dass die Auseinandersetzung mit diesen Inhalten retraumatisierend wirken kann. Bitte prüfen Sie vor dem Zugriff auf die Inhalte, ob Sie sich mental und emotional in der Lage fühlen, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen und tun sie dies ggf. nicht allein.
Am 9. Oktober 2019 versuchte ein Rechtsextremist an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, ein Massaker in einer Synagoge in Halle zu verüben. Die Eingangstür hielt seinen Schüssen und Sprengsätzen stand, woraufhin er Jana L. und Kevin S. erschoss und zwei weitere Menschen schwer verletzte. Er filmte die Tat live und äußerte dabei antisemitische Verschwörungstheorien. Sein Ziel war es, möglichst viele Juden und „Anti-Weiße“ zu töten. Der Täter wurde Ende 2020 zu lebenslanger Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilt.
Der ehemalige KiezDöner – das heutige TEKİEZ – spricht von 5 Tatorten:
Die Tat hat nicht erst am 9.10. begonnen und war auch am 9.10. nicht zu Ende. Der Täter nutzte den Prozess und seine Gefangenschaft dazu, sich selbst zu inszenieren, die Opfer zu verhöhnen und Überlebende zu retraumatisieren.