Amadeu
Antonio

06. Dezember 1990

Eberswalde

Leben des Opfers

Amadeu Antonio wurde am 12. August 1962 in Quimbele, Angola, geboren und war der Älteste von 12 Geschwistern. Freund*innen beschrieben ihn als ruhigen, aufgeschlossenen Menschen mit einer Liebe zur Musik. Er absolvierte mehrere Ausbildungen, unter anderem in Schweden und Portugal, bevor er 1987 als sogenannter Vertragsarbeiter mit großen Träumen in die DDR kam. Sein Wunsch, Flugzeugtechnik zu studieren, wurde ihm verweigert – stattdessen arbeitete er als Fleischer. In Eberswalde sah Amadeu Antonio auch nach der Wiedervereinigung seine Zukunft. Amadeu Antonios damalige Freundin war zum Zeitpunkt der Tat schwanger. Sein Sohn, Amadeu Antonio Jr., kam am 9. Januar 1991 zur Welt.

Formen des Gedenkens

Nach dem Mord an Amadeu Antonio 1990 lebte die BIPOC-Community in Eberswalde unter großer Angst. Rassistische Beleidigungen, Ausschluss aus dem öffentlichen Leben und die ständige Gefahr, Opfer von Gewalt zu werden, prägten den Alltag. Allein auf die Straße zu gehen, galt als lebensgefährlich.

1994 gründete die Community den Verein Palanca, um Schutzräume zu schaffen, Solidarität zu stärken und über die Geschichte der Vertragsarbeiter*innen aufzuklären. Der Afrikanische Kulturverein Palanca e.V. engagiert sich bis heute für ein besseres Miteinander in Eberswalde. Palanca e.V. veranstaltet ein jährliches Gedenken an Amadeu Antonio und ist im engen Austausch mit seiner Familie in Angola und Deutschland. Der Verein thematisiert Antirassismus und rechtsextreme Gewalt – in Bildungsangeboten wie auch öffentlich – und bietet Geflüchteten und afrikanischen Frauen einen Treffpunkt, um die Isolation zu durchbrechen und Kultur zu teilen. Zusätzlich leistet Palanca e.V. integrative Arbeit mit dem Ziel, kulturelle Vielfalt sichtbar zu machen und ein vorurteilsfreies Miteinander sowie integrative Maßnahmen zu fördern.

Auch die 1998 gegründete Amadeu Antonio Stiftung bewahrt sein Andenken und setzt sich in seinem Namen für Zivilcourage und die Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und rechter Gewalt ein.

Seit Mitte der 2000er organisiert die Barnimer Kampagne  „Light me Amadeu“ das jährliche Gedenken an Amadeu Antonio. Die Kampagne besteht aus jungen und älteren Menschen aus Eberswalde, dem Landkreis Barnim und darüber hinaus, die sich im Rahmen vielseitiger Formate wie Workshops, Vorträge und Informationskampagnen mit Rassismus auseinandersetzen und über seine Wirkweisen und Folgen aufklären. Sie kooperieren dabei eng mit dem afrikanischen Kulturverein Palanca e.V., der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), der panafrikanischen Frauenorganisation PAWLO und der Amadeu Antonio Stiftung.

In Eberswalde erinnert zudem eine Gedenktafel an Amadeu Antonio, für deren bessere Sichtbarkeit und Pflege sich die Kampagne  „Light me Amadeu“ ebenfalls einsetzt. Seit 2022 ergänzt ein Geschichtsbaum die Tafel, welcher über das Leben von Amadeu Antonio, seine Träume und seiner neuen Heimat Eberswalde erzählt. Mehrere einzelne Äste bzw. Tafeln sind dem rassistischen Mord an Amadeu Antonio und dem Gedenken an ihn gewidmet. Auch Kontextinformationen gibt es hier zum Nachlesen, wie zur Geschichte von Vertragsarbeitenden in der DDR.

Was ist geschehen

Diese Gedenkchronik thematisiert rechte, rassistische und antisemitische Gewalt, einschließlich spezifischer Vorfälle, Hintergründe und Folgen. Die Inhalte können belastende Beschreibungen von Gewalt, Diskriminierung und Leid enthalten.

Im folgenden ausklappbaren Abschnitt „Beschreibung der Tat“ werden konkrete Gewalttaten geschildert. Wir möchten Betroffene und Leser*innen daher darauf hinweisen, dass die Auseinandersetzung mit diesen Inhalten retraumatisierend wirken kann. Bitte prüfen Sie vor dem Zugriff auf die Inhalte, ob Sie sich mental und emotional in der Lage fühlen, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen und tun sie dies ggf. nicht allein.

Samstagnachmittag, 24. November 1990, Eberswalde: Eine Gruppe junger Erwachsener trifft sich in der Wohnung eines stadtbekannten Neonazis. Unter ihnen befinden sich sowohl bekannte rechtsextreme Skinheads aus Gratz und Casekow als auch rechtsorientierte Jugendliche aus Eberswalde. Gemeinsam ziehen sie los, um in eine Diskothek zu gehen. Schon auf dem Weg dorthin randalieren einige der jungen Erwachsenen – sie brechen in den Imbisswagen eines türkischen Besitzers ein. Die Polizei war schon zwei Wochen vorher über das Treffen der Gruppe informiert, auch bei den Randalen auf dem Weg zur Diskothek wurde die Gruppe bereits beobachtet.

Nachdem in der Diskothek die Stimmung mit Parolen wie „Heil Hitler“ und der entsprechenden Musik aufgeheizt wurde, zog eine Gruppe von 50 Leuten weiter Richtung der Gaststätte „Hüttengasthaus“. Ihr Ziel war es „N* aufzuklatschen“, wie die Angeklagten später im Gerichtsverfahren zu Protokoll gaben. Bereits auf dem Weg zur Gaststätte wurde die Motivation des Mobs deutlich: „Deutschland den Deutschen!“, „Ausländer raus“ und „N* verpisst euch!“ rief der rassistische Mob.

Auf dem rund drei Kilometer langen Weg zum Gasthof randalierte die 50 bis 60 Personen große Gruppe und begann, sich mit Zaunlatten zu bewaffnen. Als Amadeu Antonio und seine Begleiterinnen und Begleiter ins Blickfeld des Mobs kamen, rief jemand „Da sind die N*!“ Der aufgepeitschte Mob begann auf die Gruppe loszurennen. Mit Lattenzäunen und Softballschlägern wurde auf die Freunde eingeschlagen. Beim Versuch zu fliehen, teilte sich die Gruppe. Die Begleiterinnen und Begleiter konnten verletzt fliehen – der 28-jährige Amadeu Antonio nicht. Er wird von rund zehn Leuten verfolgt und brutal zusammengeschlagen. Selbst, als er bereits am Boden liegt, treten die Nazis weiter auf ihn ein. Einer der Angreifer springt mit beiden Füßen auf den Kopf des am Boden Liegenden. Erst als ein Bus vorbeifährt, lässt die Gruppe von dem bereits Bewusstlosen ab. Amadeu Antonio wird nie wieder das Bewusstsein erlangen und schließlich am 6. Dezember 1990 an den Folgen der erbarmungslosen Attacke erliegen.