Formen des Gedenkens
Das lokale Erinnern an die fünf Opfer war nicht selbstverständlich und von einigen Kontroversen zwischen der Stadtverwaltung/Kommunalpolitik und Familie Genç begleitet. Zum einen möchte die Klingenstadt nicht nur im Zusammenhang mit dem Anschlag wahrgenommen werden, zum anderen organisiert die Stadt kommunale Gedenkveranstaltungen, an Jahrestagen auch in Anwesenheit von Vertreter*innen der Landes- und Bundespolitik (vgl. Demirtaş et al. 2023:25).
Seit 1994 wird in Solingen fortwährend an zwei Standorten an den Brandanschlag und die getöteten jungen Frauen und Mädchen erinnert. Der für Familie Genç wichtige und eigentliche Erinnerungsort befindet sich an der Unteren Wernerstraße 81, dem ehemaligen Wohnort der Familie, an dem die fünf Menschen ermordet wurden. Hier trauert und erinnert die Familie zusammen mit einem eher kleinen Kreis von Unterstützer*innen überwiegend der deutsch-türkeistämmigen Community. Erst 1995 wurde an der Unteren Wernerstraße 81 ein Gedenkstein von der Jugendhilfe-Werkstatt-Solingen angebracht mit den Namen der Opfer und dem Hinweis, dass sie durch eine rassistische Tat getötet wurden. Beim Gedenken an der Unteren Wernerstraße wurden seit 1994 jedes Jahr die Portraits der Opfer lediglich von den türkeistämmigen Menschen auf tragbaren Transparenten gezeigt.
Für die offizielle Gedenkveranstaltung hat die Stadt Solingen schon zum ersten Jahrestag einen anderen Ort ausgewählt, der allerdings nicht mit Familie Genç abgestimmt worden ist (Genç, H. 2023; Genç, K. 2023). Seit 1994 organisiert die Stadt das kommunale Gedenken an einem Mahnmal auf dem Gelände des Mildred-Scheel-Berufskollegs. Dieses Mahnmal wurde, weil die Stadt nach dem Brandanschlag selbst wenig Initiative zur Errichtung eines Denkmals zeigte, von der Jugendhilfe-Werkstatt Solingen in Eigeninitiative konzipiert und aufgrund enger Kooperationen mit dem Mildred-Scheel-Berufskolleg auf deren Gelände errichtet. Die inhaltliche Gestaltung und die erinnerungspolitische Standortbestimmung dieses Mahnmals wurde damals ebenfalls nicht mit Familie Genç abgestimmt. Am 29. Mai 1994, dem ersten Jahrestag des Brandanschlags, wurde das Mahnmal eingeweiht. Tausende Menschen nahmen an der Einweihungsfeier teil, gedachten der Opfer und demonstrierten gegen Rassismus.
Schon direkt nach dem Anschlag kämpfte Mevlüde Genç trotz ihrer Trauer, ihres Leids und Schmerzes für Erinnern, Gedenken, Anerkennung und für die Sichtbarkeit ihrer getöteten Töchter und Enkelinnen. Ohne ihre Kämpfe wären einige der gegenwärtigen Gedenk- und Erinnerungsformate in Solingen nicht zustande gekommen. Die Gedenktafeln und sieben Stelen, die zum 30. Jahrestag in Solingen entstanden sind, gehen insbesondere auf Forderungen von Mevlüde Genç und anderer Familienmitglieder zurück, die sich im privaten und im öffentlichen Kontext immer wieder dafür einsetzten, die Gesichter der ermordeten Menschen sichtbar zu machen. Mevlüde Genç engagierte sich unmittelbar nach dem Anschlag bis zu ihrem Tod am 30.10.2022 für das friedliche Zusammenleben und gegen Rassismus. Sie bewies schon direkt nach dem Anschlag menschliche Größe, als Menschen ihre kollektive Wut in Form von heftigen Protesten und Demonstrationen mit teilweise gewalttätigen Ausschreitungen auf den Straßen zeigten. Sie forderte trotz ihres unermesslichen Schmerzes und der Trauer ein Ende der gewalttätigen Proteste.